Zukunftsszenario für den Schwerlastverkehr: Die Robert Bosch GmbH arbeitet im Werk Nürnberg an Komponenten für die Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie.
Automobilzulieferer aus Mittelfranken liefern Innovationen für die Antriebe von morgen. Ein Rundblick.
In der Geschichte der Verkehrstechnik hat die Region Nürnberg schon mehrmals Wegmarken gesetzt – etwa mit der ersten deutschen Eisenbahn 1835 oder mit der Fahrrad- und Motorradindustrie früherer Jahre. Auch heute leisten die Unternehmen der Branche mit ihren rund 140 000 Beschäftigten wesentliche Beiträge für die Mobilität der Zukunft – etwa in den Bereichen Antriebstechnik, Bau von Motorteilen und Fahrzeugelektronik.
Das Nürnberger Familienunternehmen Bühler Motor GmbH hat sich in seiner fast 170-jährigen Geschichte immer wieder neu erfunden. Im Segment Automotive lag bislang ein Schwerpunkt auf mechatronischen Antriebslösungen, die Verbrennungsmotoren sauberer und effizienter machen (z. B. Stopp-Start-Automatik, Abgasreinigung mit AdBlue). Seit einigen Jahren hat sich der Fokus auch in Richtung Fahrzeug- und Antriebskonzepte für Hybrid- und E-Autos verschoben. Dabei geht es beispielsweise um Applikationen für die Batterie-Temperierung, die Kühlung der Hochleistungselektronik oder die Klimatisierung des Autoinnenraums. Hierfür bringt Bühler bereits einiges an Erfahrung mit, beliefert man doch seit Jahren den US-Großkunden General Motors mit elektrischen Wasserpumpen für deren Hybrid- und E-Autoflotte. Zusätzlich entwickelt und produziert Bühler Motor kundenspezifische Lösungen etwa für das Schmieren oder Temperieren im Antriebsstrang. Außerdem liefert das Traditionsunternehmen Gleichstrommotoren und komplette Systeme für das Schalten und Aktuieren eines Getriebes im E-Auto. Bühler Motor sieht sich in Konkurrenz zu den großen Playern in der globalen Kfz-Zulieferindustrie, als Mittelständler könne man aber flexibler agieren, habe kürzere Entscheidungswege und sei dadurch kundenorientierter.
Die sich verändernden Anforderungen in der Kfz-Mobilität will Bühler gleichzeitig nutzen, um etwas unabhängiger vom reinen Pkw-Geschäft zu werden. Deshalb soll das Know-how für weitere Märkte genutzt werden, z. B. für die sogenannten Pedelecs. Die Erfahrungen aus den Geschäftsfeldern Kfz und Gebäudeautomatisierung werden auch im Bereich Busse und Bahnen genutzt, speziell bei elektrischen Systemen zum Öffnen und Schließen von Türen.
Auch der Nürnberger Technologiekonzern Diehl Stiftung & Co. KG ist seit Jahrzehnten Partner der internationalen Automobilindustrie. Im Teilkonzern Diehl Metall finden sich Produktlösungen sowohl für den konventionellen Antriebsstrang als auch für E-Mobilität und Hybridtechnologie, für Brennstoffzellenfahrzeuge sowie für die sogenannte E-Micromobility (u. a. Lieferfahrzeuge für Innenstädte und E-Bikes).
Zu den Produkten gehören beispielsweise sogenannte Kontaktiersysteme, mit denen Brennstoff-, Hybrid- und elektrische Batteriezellen kontaktiert werden. Für ein optimales Wärmemanagement in Hochleistungselektroniken sorgen sogenannte Pin-Fin-Kühlkörper. Zum Portfolio gehören auch innovative, bleifreie Werkstoffe in Form von Halbzeugen, die die Grundlage für viele Anwendungen in Hybrid- und Elektrofahrzeugen sind. Für den Bereich E-Micromobility entwickelt und produziert Diehl Batterieanwendungen. Für das datengetriebene Zukunftsfeld Autonomes Fahren kommen von Diehl Metall Kunststoffgehäuse mit umspritzten Kontakten, die als Teil von Sensoren für Parksysteme und in passiven Sicherheitssystemen arbeiten.
Für die Anforderungen einer sich verändernden Mobilität sieht sich Diehl Metall gut aufgestellt. Je nach Anforderungen werden sowohl gänzlich neue Lösungen für spezifische Bedürfnisse entwickelt als auch bestehende Produkte, Werkstoffe und Technologien an die neuen Anforderungen angepasst. Das Augenmerk liegt hier insbesondere auch auf Ressourcenschonung und Downsizing von Bauteilen bei gleichzeitig sicherem und zuverlässigem Fortbewegungserlebnis. Zudem erweitert der Teilkonzern stetig seine Fertigungskompetenzen im Bereich innovativer Mobilitätskonzepte.
Diehl Metall kooperiert mit Universitäten und weiteren Partnern im Feld der Schaltelemente für maximale Energieeffizienz in elektrischen und hybriden Antriebssträngen. Dabei geht es um die Funktion des Zuschaltens und Abschaltens mit einer mechanischen Überlastsicherung.
Konzernübergreifendes Know-how ist auch bei bleifreien Kontaktwerkstoffen für Ladestecker in der E-Mobilität gefragt. Aufgrund des häufigen An- und Absteckens der Ladestecker von E-Fahrzeugen ist neben der elektrischen Leitfähigkeit eine ausreichende mechanische Festigkeit notwendig. Zusammen mit Entwicklungspartnern und spezialisierten Ausrüstern aus der Ladeinfrastruktur wird am Optimum aus Werkstoffzusammensetzung und Werkstoffzustand getüftelt, um einen Beitrag für effiziente und langlebige Ladesysteme zu leisten.
Die Nürnberger Leoni AG ist ein globaler Anbieter von Produkten, Lösungen und Dienstleistungen für das Energie- und Datenmanagement in der Automobilbranche und weiteren Industrien. Das Angebot der Wiring Systems Division umfasst neben Standard- und Spezialleitungen sowie kundenspezifisch entwickelten Bordnetz-Systemen und zugehörigen Komponenten auch Dienstleistungen wie Architekturdesign oder Simulation. Für die neuen Anforderungen durch E-Mobilität und Autonomes Fahren sieht sich Leoni durch die Kompetenz im Bereich Hochvolt-Lösungen gut aufgestellt. Dieser Bereich ist die technologische Basis für batterieelektrische Fahrzeuge, aber auch für hybride Antriebsformen.
Wegen des Trends zum hoch automatisierten und zum autonomen Fahren wird das Bordnetz zum sicherheitskritischen Bauteil. Denn auch im Fehlerfall muss eine sichere und zuverlässige Energie- und Datenversorgung gewährleistet sein. Gerade im Bereich der funktionalen Sicherheit und bei der Optimierung und Entwicklung von Architekturansätzen wurde Kompetenz aufgebaut, um die Kunden als System- und Lösungspartner zu unterstützen. Leoni setzt u. a. auf die elektrothermische Simulation mit dem sogenannten digitalen Zwilling. Dadurch können die gesamte Interaktion eines kompletten Hochvolt-Bordnetzes analysiert und Hochvolt-Leitungssätze optimiert werden.
Produktseitig hat Leoni beispielsweise intelligente Leistungsverteiler im Portfolio. Der intelligente Schalter iPDS (intelligent Power Distribution Switch) und der intelligente Stromverteiler iPDM (intelligent Power Distribution Module) verhindern einen möglichen Gesamtausfall des Bordnetzes. Dafür werden unter anderem Teil-
bordnetze oder einzelne Kanäle aktiv zu- oder abgeschaltet. Zahlreiche weitere Funktionen der beiden Komponenten stellen die Funktionalität des Gesamtbordnetzes sicher, wie beispielsweise diverse Schutz- und Diagnosefunktionen angeschlossener Leitungen und der integrierte Unterspannungsschutz des Bordnetzes.
In Nürnberg findet sich auch ein Standort der Antriebssparte von Continental, Vitesco Technologies GmbH. Die Konzerntochter wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2021 abgespalten. Das hiesige Werk mit seinen rund 2 300 Mitarbeitern gilt als weltweites Kompetenzzentrum für die Entwicklung und Produktion von elektronischen Getriebesteuergeräten sowie Hybrid- und Elektroantrieben. Vitesco Technologies gehört zu den internationalen Entwicklern und Herstellern von modernsten Antriebstechnologien für nachhaltige Mobilität. Intelligente Systemlösungen und Komponenten für Elektro-, Hybrid- und Verbrennungsantriebe sollen die Mobilität sauberer, effizient und erschwinglich machen. Mit dieser Strategie konzentriert sich Vitesco konsequent auf die Elektrifizierung des Antriebs. Der Fokus liegt in den Bereichen mit langfristigem Wachstumspotenzial: Elektronik, Sensoren und Aktuatoren und reinen Elektrifizierungs-Technologien, wie zum Beispiel Elektromotoren. Das Portfolio ist auf globale, skalierbare Plattformen für elektrifizierte Fahrzeuge ausgerichtet – und zwar für batterie- oder wasserstoffbasierende elektrische Antriebe gleichermaßen.
Schon heute produziert das Unternehmen Komponenten und Systeme für acht von zehn der größten Automobilhersteller im E-Fahrzeugsegment. In den Wachstumsmärkten China, Europa und Nordamerika finden sich Produktionen und Entwicklungsstandorte. In Nürnberg arbeiten mehr als 300 Ingenieure, die vorher noch in der alten Welt der Verbrennungsmotoren entwickelt haben. Aber auch weltweit werden Mitarbeiter in Zukunftstechnologien weitergebildet. Ende 2020 waren es rund 400, weitere 500 sollen in diesem Jahr folgen. Bis 2030 will Vitesco zu einem weltweit führenden Anbieter im Bereich elektrischer Antriebsstränge werden. Denn mit der Elektrifizierung steigt der Wertbeitrag zum Auto. Zu einem elektrifizierten Antrieb will Vitesco 2025 mehr als vier Mal mehr beitragen als zu einem Verbrenner im Jahr 2018.
Für die Brennstoffzellentechnologie im Pkw-Bereich rechnet das Unternehmen in den nächsten Jahren mit einer Nachfrage auf einem eher niedrigen Niveau. Erst um das Jahr 2030 herum werde diese Antriebstechnologie an Bedeutung gewinnen. Flüssige E-Kraftstoffe würden dagegen aufgrund der mangelnden Energieeffizienz kein Hauptakteur für den Straßentransport.
Das Nürnberger Werk „NuP1“ des globalen Zulieferers Robert Bosch GmbH ist mit seinen knapp 2 000 Mitarbeitern eigentlich ein klassischer Verbrenner-Standort. Hier werden unter anderem Drosselvorrichtungen, Hochdruckpumpen (HDP) für Benzin-Direkteinspritzung sowie Druckregelventile produziert. Durch seine Kompetenz in den Fertigungsprozessen ist der Standort Nürnberg ein globales Leitwerk für andere Bosch-Standorte.
Die Standortvereinbarung für Bosch Nürnberg aus dem letzten Jahr sichert den Standort bis 2026 und sieht eine Doppelstrategie vor: Einerseits werden die Komponenten für die Benzineinspritzung weiterentwickelt, um Kraftstoffverbrauch und Emissionen weiter senken. Die Investitionen fließen etwa in eine neue 350-bar-Hochdruckpumpe und in Produkte der Abgasnachbehandlung für den klassischen Verbrennungsmotor. Andererseits macht sich Nürnberg fit für die Zukunft im Bereich des Brennstoffzellensystems und der Wasserstofftechnik. Hier geht es um die sogenannte Vorindustrialisierung von Ventilen für die Brennstoffzelle sowie um eine Magnetbaugruppe für ein Wasserstoffventil.
Die Herzogenauracher Schaeffler AG hatte vor drei Jahren mit der Gründung eines eigenen Unternehmensbereichs E-Mobilität unter dem Dach der Schaeffler-Sparte Automotive Technologies die Weichen Richtung Zukunft gestellt. Die Sparte liefert Technologien für alle elektrifizierten Antriebsstränge. Die E-Achsgetriebe als wichtiger Bestandteil gesamter E-Achssysteme sind bereits seit 2017 erfolgreich in Serie und sorgen für die optimale Übersetzung und Kraftübertragung vom Elektromotor an die Räder. Sie kommen im Audi e-tron an beiden Achsen für einen Allradantrieb zum Einsatz oder sorgen beim Porsche Taycan für die richtige Übersetzung an der Vorderachse. Mittlerweile konnte Schaeffler zudem Aufträge ganzer sogenannter „3 in 1-E-Achsen“ gewinnen, die E-Motor, Getriebe und Leistungselektronik in einem System vereinen. Dabei handelt es sich um Performance-E-Achsen mit einer zukunftsweisenden Leistungsdichte. Für dieses Jahr hat Schaeffler die Serienproduktion von E-Motoren für Hybridmodule, Hybridgetriebe und rein elektrische Achsantriebe angekündigt. Neben verschiedenen Serienaufträgen für E-Motoren im Pkw-Bereich kam zuletzt auch ein erster Serienauftrag für E-Motoren mit Wellenwicklungstechnologie im Lkw-Bereich hinzu.
Schaeffler hat im Laufe der vergangenen Jahre durch gezielte strategische Akquisitionen seine Kompetenzen in der E-Mobilität konsequent ausgeweitet. Dazu zählt der Zukauf von Elmotec-Statomat mit der Kompetenz in der Wicklungstechnologie oder auch die Akquisition von Compact Dynamics, ein Entwicklungsspezialist auf dem Gebiet innovativer elektrischer Antriebskonzepte. Zudem ist Schaeffler aktuell neuer „Ankerpartner“ der Innovationsplattform „Startup Autobahn“ der Stuttgarter Plug & Play Germany geworden. Die Plattform bringt 30 etablierte Unternehmen mit einem Netzwerk aus
30 000 Startups zusammen, um neue Technologien schneller Richtung Marktreife voranzutreiben. Seit der Plattform-Gründung 2016 wurden bereits mehr als 320 Pilotprojekte entwickelt. Neben dem Hauptsitz in Stuttgart ist das Netzwerk auch in China, Indien und Singapur präsent.
Der Nürnberger MAN-Standort ist innerhalb der MAN Truck & Bus Gruppe das internationale Kompetenzzentrum für die Entwicklung, die Produktion und den Vertrieb von Diesel- und Gasmotoren mit einem Leistungsspektrum bis zu 2 000 PS. Die Schwergewichte der E-Mobilität, also etwa die batterieelektrischen Stadtbusse, werden zwar nicht hier produziert. Aber immerhin hat die VAG Nürnberg der MAN den bislang größten E-Bus-Auftrag beschert, indem sie Anfang des Jahres insgesamt 39 Busse der Reihe Lion’s City bestellte.
Die Transformation des heutigen MAN-Dieselmotorenwerk hin zu alternativen Antrieben soll durch den neuen „Wasserstoff-Campus“ bewerkstelligt werden. Hierfür kooperiert MAN Truck & Bus mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und der Technischen Hochschule Nürnberg (THN). Die Forschung und Entwicklung von wasserstoffbasierten Fahrzeugantrieben werden die Hochschul-Wissenschaftler mit den Entwicklern des Fahrzeugherstellers direkt auf dem Nürnberger MAN-Gelände betreiben. Der gegenseitige Know-how-Austausch soll die Forschung an Wasserstoffantrieben spürbar beschleunigen. Die Arbeit auf dem Wasserstoff-Campus wird die gesamte Wertschöpfungskette der Antriebsform abdecken: von der umweltfreundlichen Erzeugung des Wasserstoffs über die Distribution und Infrastruktur, der Energiewandlung zurück zu Strom bis hin zur Anwendung der Technik beim Kunden im Fahrzeug.
Seit vielen Jahren ist auch die Nürnberger Baumüller-Gruppe im Bereich Elektromobilität aktiv: Das Familienunternehmen mit knapp 2 000 Mitarbeitern liefert Elektromotoren und komplette Antriebssysteme für Schiffe, Radlader oder andere Nutzfahrzeuge mit dem Ziel, Emissionen zu reduzieren. Die Motoren von Baumüller werden mittlerweile auch in batterieelektrischen Lkw der Firma Framo eingesetzt. Weitere Projekte der Baumüller-Gruppe sind beispielsweise ein vollelektrisches Kommunalfahrzeug für Reinigungs- und Pflegearbeiten, eine Hybridfähre auf der Weser, eine elektrische Fähre in Taiwan sowie den ersten Hoflader mit Lithium-Ionen-Akku.
Zu den wichtigen Playern in der Elektromobilität gehört auch die Semikron International GmbH in Nürnberg, die nach eigenen Angaben einer der weltweit führenden Hersteller für Komponenten und Systeme der Leistungselektronik im mittleren Leistungssegment (von etwa zwei Kilowatt bis zehn Megawatt) ist. Sie kommen u. a. in den Bereichen energieeffiziente Motorantriebe, Industrieautomatisierung, Stromversorgung, erneuerbare Energien sowie Elektrofahrzeuge zum Einsatz. Nach Unternehmensangaben werden über 1,5 Mio. elektrische Gabelstapler von Semikron-Systemen angetrieben, außerdem seien mehr als 250 000 Elektrofahrzeuge sowie Hybrid- und Elektrobusse mit Technik von Semikron auf den Straßen unterwegs.