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© Anton Atzenhofer

Die EU macht ernst: Die Kfz-Emissionen sollen drastisch sinken. Die Hersteller starten beim Systemwandel durch.

Ende dieses Jahres will die EU-Kommission einen neuen Vorschlag für sauberere Autos vorlegen. Die künftige Abgasnorm Euro 7 soll für Pkw unter anderem neue Emissionsgrenzwerte für die gesundheitsschädlichen Stickoxide festlegen. Für den anstehenden Gesetzgebungsvorschlag tauscht sich die EU-Kommission derzeit noch mit Wissenschaft, Automobilwirtschaft und Zivilgesellschaft aus. Aus Brüssel heißt es immer wieder, dass bislang noch keine Entscheidung über die Architektur, den Umfang, die Grenzen und den Zeitplan der künftigen Euro-7-Norm getroffen worden sei. Lediglich Empfehlungen des Beratergremiums AGVES (Advisory Group on Vehicle Emission Standards) liegen auf dem Tisch. Damit wird die Schärfe der Diskussion allerdings kaum abgemildert. Denn die künftige Abgasnorm soll auch einen anderen Vorschlag der Kommission unterstützen: Denn das Klimaziel ist nun noch ehrgeiziger – bis 2030 sollen die klimaschädlichen Emissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 sinken.

Dieses Etappen-Klimaziel zur Reduktion von Treibhausgasemissionen ergibt sich aus dem europäischen „Green Deal“, den die Kommission Ende 2019 vorgelegt hatte. Darin wird auch das übergeordnete Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in der EU bekräftigt. Zu den notwendigen politischen Reformen soll eine effektivere CO2-Bepreisung in der gesamten Wirtschaft beitragen. Und mit Blick auch auf die Pkw-Mobilität heißt es: „Der Preis für Verkehrsdienstleistungen muss die Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt und die Gesundheit widerspiegeln.“

Die diskutierten Eckdaten der Abgasnorm Euro 7 haben es allerdings in sich. Die Rede ist vom EU-weiten Start im Jahr 2025. Ab dann dürfte ein Neuwagen nur noch 30 Milligramm Stickoxid (NOx) pro Kilometer ausstoßen. Andere Szenarien sehen sogar nur noch zehn Milligramm pro Kilometer vor. Der Grenzwert der aktuellen Abgasnorm Euro 6d für neu zugelassene Typen erlaubt seit Anfang 2020 noch 60 Milligramm pro Kilometer an NOx für Benziner und 80 Milligramm für Diesel-Fahrzeuge. Beim Ausstoß von Kohlenmonoxid (CO) könnten die Werte bei Benzinern von derzeit 1 000 Milligramm halbiert und bei Diesel-Autos von 300 Milligramm sogar gedrittelt werden. Zusätzlich ist von Verschärfungen beim Prüfverfahren die Rede. Derzeit wird mit dem RDE-Test (Real Driving Emissions) bei Neuwagen im Fahrbetrieb kontrolliert, ob die Werte eingehalten werden. Angesichts des laufenden Prozesses hält sich die Bundesregierung mit Spekulationen zurück. Sie stellte aber in einer Antwort auf eine kleine Anfrage Anfang des Jahres klar, dass die EU-Kommission nicht plane, mit der Euro 7 ein Verbot für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren einzuführen.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat bereits Gegenposition bezogen und eine Überarbeitung des Euro-7-Vorschlags von der EU-Kommission gefordert. „Wenn ein neues Fahrzeug auch im Winter beim Start oder beim Ziehen eines Anhängers am Berg die gleichen Grenzwerte einhalten muss wie bei Tempo 50 auf gerader Strecke, dann kommt das faktisch einem Verbot des Kolbenmotors gleich“, beklagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Aus Müllers Sicht haben die Kfz-Hersteller ihre Hausaufgaben gemacht. Im Zeitraum von 1990 bis 2020 sei die Straßenverkehrsleistung in Deutschland, also die Summe von Personen- und Tonnenkilometern, um 71 Prozent gestiegen. Die CO2-Emissionen im Straßenverkehr seien dagegen im selben Zeitraum nach vorläufigen Berechnungen um acht Prozent zurückgegangen.

Grenzwerte für die Flotten verschärft

Für die Automobilhersteller gelten laut einer EU-Verordnung seit Anfang letzten Jahres verschärfte CO2-Flottengrenzwerte. Erlaubt sind über alle neu zugelassenen Typen eines Pkw-Herstellers hinweg ein Flottenverbrauch von durchschnittlich 95 Gramm CO2 pro Kilometer – gemessen nach dem alten NEFZ-Prüfverfahren („Neuer Europäischer Fahrzyklus“). Liegt der Flottenverbrauch zu hoch, drohen Milliarden-Strafen von der EU. Die Europäische Union fordert pauschal 95 Euro Strafe pro Gramm CO2-Überschreitung und pro Auto.

Die Flottenemissionen berücksichtigen die durchschnittlichen CO2-Emissionen aller tatsächlich neu zugelassenen Pkw in der EU sowie im Europäischen Wirtschaftsraum, also inklusive Island, Liechtenstein und Norwegen, aber ohne die Schweiz. Als Entgegenkommen werden von den Herstellern nur 95 Prozent der Flotte berücksichtigt. Die fünf Prozent Neuwagen mit den höchsten Emissionen fallen also aus der Flottenemission heraus. Außerdem hängt der 95 Gramm-Grenzwert zusätzlich vom durchschnittlichen Leergewicht der verkauften Autos ab. Dadurch dürfen Konzerne mit einem höheren Durchschnittsgewicht der Flotte etwas mehr emittieren.

Die Berechnung der Flottenemission belohnt zusätzlich Null- und Niedrigemissionsfahrzeuge. Hier winken sogenannte „Supercredits“ für Fahrzeuge mit CO2-Emissionen unter 50 Gramm (Zero and Low Emission Vehicles – ZLEV). Darunter fallen reine Batterie- bzw. Brennstoffzellenfahrzeuge mit 0 Gramm CO2 pro Kilometer oder extern aufladbare Plug-In-Hybridfahrzeuge. Auch Öko-Innovationen lassen sich auf Flottengrenzwerte anrechnen. Darunter fallen Maßnahmen, die zur Senkung der CO2-Emissionen im Realbetrieb beitragen, aber nicht auf dem Prüfstand gemessen werden. Als Öko-Innovation gelten z. B. LED-Scheinwerfer, die weniger als Halogen-Scheinwerfer verbrauchen.

Seit diesem Jahr gilt bis 2024 im Prinzip das 95 Gramm-Ziel für die Gesamtflotte. Allerdings wird das bisherige NEFZ-Messverfahren durch das realitätsnähere WLTP2-Testverfahren (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure) ersetzt. Hierdurch steigt der bisherige NEFZ-Flottengrenzwert von 95 Gramm etwa um 20 Prozent auf 115 Gramm gemäß WLTP. Der endgültige Wert wird erst im laufenden Jahr bekannt gegeben, weil er auf Basis von altem und neuem Prüfzyklus der 2020 zugelassenen Neuwagen errechnet wird. Daher werden für die Folgejahre prozentuale Minderungen vorgegeben. Von 2025 bis 2029 sind 15 Prozent weniger CO2-Ausstoß gefordert, ab 2030 müssen es weitere 37,5 Prozent weniger sein.

Im Langzeitvergleich zeigt die Schadstoffemission des deutschen Pkw-Verkehrs in die richtige Richtung: Im Vergleich zum Jahr 2005 wird sich zum Beispiel der Ausstoß an Kohlenmonoxid und Stickoxid bis 2025 voraussichtlich halbieren. Diese Entwicklung hängt nicht nur von den Grenzwerten ab, sondern auch von der Fahrleistung der Pkws oder auch der bewegten Masse pro gefahrene Kilometer. Natürlich beeinflussen auch die unterschiedlichen Antriebe – Diesel-, Otto-, Hybrid- oder reiner Elektro-Pkw – die Entwicklung.

Im Jahr 2020 brachen die Kfz-Zulassungen um rund 20 Prozent ein. Das Segment alternative Antriebe (batterieelektrisch, Hybrid, Plug-In, Brennstoffzelle, Gas, Wasserstoff) kam allerdings laut Kraftfahrtbundesamt auf rund ein Viertel aller Neuzulassungen, was knapp 395 000 Neuwagen entsprach. Der Anteil der Pkw mit alternativen Antrieben am gesamten Fahrzeugbestand ist aber immer noch gering: Erst 3,6 Prozent aller 48,3 Mio. zugelassenen Autos sind damit ausgestattet. Auf deutschen Straßen sind über eine Mio. Hybrid-Pkws und nur 800 wasserstoffbetriebene Pkw unterwegs.

Knackpunkt Ladeinfrastruktur

Vor diesem Hintergrund erscheint die flächendeckende Versorgung mit E-Ladesäulen ein wichtiger Baustein für die Mobilität der Zukunft. Die Bundesnetzagentur weist zu Jahresbeginn 34 000 öffentliche Ladepunkte aus, die bei ihr gemeldet sind und auf einer interaktiven Karte kontinuierlich aktualisiert werden. Davon sind rund ein Siebtel Schnellladepunkte. Im Vergleich der Bundesländer führt Bayern das Ranking mit rund 7 400 E-Ladesäulen deutlich an, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Über die Förderrichtlinie Ladeinfrastruktur des Bundesverkehrsministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) wurden 2020 in Bayern über 100 Anträge von Unternehmen bewilligt. Das Förderprogramm „Ladestationen für Elektroautos – Wohngebäude“ bewilligte 2020 fast 137 000 private Ladesäulen – davon über 28 000 Projekte in Bayern. Diese Zahl ist deshalb interessant, weil Experten davon ausgehen, dass bis zu 80 Prozent der Ladevorgänge über private Lösungen stattfinden. Deutschlandweit gibt es erst 90 öffentliche Wasserstofftankstellen, weitere 16 befinden sich in Umsetzung.

Weil trotz der inzwischen mehrjährigen Förderprogramme der Aufbau der E-Ladeinfrastruktur nicht richtig vorankommt, hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Bereitstellung flächendeckender Schnellladeinfrastruktur für reine Batterieelektrofahrzeuge („Schnellladegesetz“) auf den Weg gebracht. Bundesweit sollen bis 2023 über 1 000-Schnelllade-Hubs entstehen. Sie können auch auf privatem Grund stehen, müssen aber rund um die Uhr öffentlich zugänglich sein. Gefragt ist eine HPC-Ladeinfrastruktur (High Power Charging) mit einer Leistung pro Ladepunkt von mindestens 150 Kilowatt an Fernstraßen sowie an wichtigen Standorten in Ballungsräumen. So kann ein schnelles Laden für Mittel- und Langstreckenmobilität gewährleistet werden. An der europaweiten Ausschreibung in mehreren Losen können sich auch Bietergemeinschaften beteiligen, sodass auch kleine und mittlere Unternehmen bei dem Verfahren zum Zuge kommen können. Ebenfalls auf dem Weg ist das Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG). Es soll den Einbau von Leitungsinfrastruktur an Stellplätzen verpflichtend machen, wenn bei Wohngebäuden mehr als fünf Stellplätze und bei Nichtwohngebäuden mehr als sechs Stellplätze geplant sind.

In Umsetzung befindet sich auch die EU-Richtlinie CVD (Clean Vehicles Directive). Sie gibt der öffentlichen Hand vor, bei der öffentlichen Auftragsvergabe verbindliche Mindestziele für emissionsarme und -freie Pkw sowie für leichte und schwere Nutzfahrzeuge zu erfüllen. Das betrifft nicht nur den eigenen Fuhrpark von Behörden und Ämtern, sondern muss dann auch bei der öffentlichen Auftragsvergabe an private Akteure, wie etwa Post- und Paketdienste, berücksichtigt werden.

Der Lobbyverband VDA befürchtet im Verkehrsbereich angesichts des E-Mobilität-Hypes zu wenig Technologieoffenheit. Auch der Einsatz von nachhaltigen Kraftstoffen, Wasserstoff oder Biokraftstoffen müsse vorangetrieben werden. Mit den sogenannten E-Fuels ließen sich Verbrennungsmotoren mit sauberen Kraftstoffen betanken. Um das Klimaziel 2030 zu erreichen, fordert der VDA deshalb mindestens einen Anteil von 23 Prozent erneuerbare Kraftstoffe und eine Mindestquote von fünf Prozent Wasserstoff und E-Fuels.

Die Bewegung in der deutschen Automobilbranche lässt sich auch an einer Aussage von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ablesen. Er halte ein Aus von Benziner und Diesel im Jahr 2035 für denkbar. Scheuer nimmt damit Signale der Pkw-Hersteller auf. BMW will ab 2024 keine Verbrennungsmotoren mehr in Deutschland bauen. Audi entwickelt keine neuen Benzin- und Dieselmotoren und will im Sommer eventuell ein Ausstiegsdatum nennen. Daimler will sein Jahresziel, bis 2039 nur noch Neuwagen mit Elektroantrieb zu bauen, vorziehen. Porsche plant,  2030 mindestens 80 Prozent seiner Sportwagen mit reinem Elektro- oder Hybridantrieb auf die Straße zu bringen. Der Volkswagen-Konzern nennt bislang noch kein Zieljahr, allerdings wird er bereits als weltgrößter Hersteller von Elektrofahrzeugen im Jahr 2025 gehandelt. Zuvor hatte schon Jaguar angekündigt, ab 2025 nur noch vollelektrische Pkws zu bauen, Ford und Volvo visieren das Jahr 2030 für den Ausstieg vom Verbrenner an. Bei GM sollen ab 2035 alle Autos auf Batterieantrieb basieren.

Autor: tt.
Quelle: WIM