Mehr öffentlicher Nahverkehr, Mobilitätspunkte und Carsharing: So soll der Verkehr nachhaltiger werden.
Ein leistungsfähiger Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist ein zentraler Baustein der Verkehrswende und für eine umweltverträglichere Mobilität. Der Bayerische Städtetag gab jüngst die Marschrichtung vor: „Nötig ist die Verlagerung vom Auto auf klimaschonende Verkehrsmittel wie Fuß, Rad, Bus, Tram, S-Bahn, U-Bahn und Bahn.“
Rückenwind für den ÖPNV kommt vom Bund: Um die Verkehrswende besser auf die Spur zu bringen, wurde das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz als Teil des Klimapakets der Bundesregierung geändert. So werden die Bundeshilfen für den öffentlichen Personennahverkehr aufgestockt. Damit stehen in diesem Jahr 665 Mio. Euro für den Aus- und Neubau von Bahnhöfen und Haltestellen des schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs zur Verfügung – doppelt so viel wie in den vergangenen Jahren. Dieser Topf wird bis zum Jahr 2025 auf zwei Mrd. Euro aufgestockt. Anders als bisher dürfen diese Gelder auch in die Grunderneuerung fließen, um auch U-Bahnhöfe, Tunnel und Treppenaufgänge zu sanieren. Außerdem steigt der Fördersatz des Bundes von 60 auf 75 Prozent und auch kleinere Vorhaben und Projekte sind nun förderfähig.
Ebenfalls Teil des Klimapaketes der Bundesregierung ist das geänderte Regionalisierungsgesetz, das den Ländern mehr Geld für den Öffentlichen Personennahverkehr auf der Schiene beschert. Die Bundesländer erhalten im laufenden Jahr 150 Mio. Euro mehr, 2021 erfolgt eine weitere Aufstockung um 150 Mio. Euro.
Auf der Konferenz für die Metropolregion Nürnberg zum Thema „Die Zukunft der Mobilität“ im letzten November betonte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, dass ein attraktiver, leistungs- und zukunftsfähiger öffentlicher Nahverkehr nicht nur am wichtigsten für das Erreichen der Klimaziele sei. Vielmehr sei der ÖPNV auch der Schlüssel für eine effiziente Mobilität im 21. Jahrhundert. Deshalb hatte der Freistaat im vergangenen Jahr rund 1,5 Mrd. Euro für Investitionen in den bayerischen ÖPNV bereitgestellt, das waren fast zehn Prozent mehr als im Jahr 2017. Das Geld wurde u. a. für neue U-Bahn- und Straßenbahnfahrzeuge sowie für den Ausbau des S-Bahn-Netzes Nürnberg verwendet.
Außerdem soll im Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN) ein 365-Euro-Ticket für Auszubildende und Schüler zum Schuljahr 2020/21 eingeführt werden. Ein Nürnberger Bürgerbegehren für ein 365-Euro-Ticket für alle war gerade erfolgreich und muss nun im Stadtrat behandelt werden oder führt zu einem Bürgerentscheid. Vorbild für dieses Anliegen ist das Wiener Modell, dass allerdings unter anderen Voraussetzungen realisiert wurde. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) weist immer wieder darauf hin, dass sich in Wien die Zahl verkaufter Jahreskarten seither zwar verdoppelt hat. Der Effekt auf die Fahrgastzahlen sei dagegen eher gering gewesen. Preisanpassungen wirkten im ÖPNV aufgrund einer unelastischen Nachfrage viel geringer als in anderen Branchen, unterstreicht der VDV. Der Verband will lieber in das Angebot, die Kapazitäten und die Qualität investieren, bevor die Tarife gesenkt werden.
Aus Sicht von IHK-Verkehrsreferent Ulrich Schaller hat ein 365-Euro-Ticket für alle unbestreitbare Vorteile, aber die Unterfinanzierung des ÖPNV würde sich dadurch verschärfen. Fahrgeldeinnahmen seien die wichtigste Säule der ÖPNV-Finanzierung, reichten aber bei weitem nicht aus. Bevor Tarifsenkungen umgesetzt werden könnten, müssten zur Verfügung stehende öffentliche Mittel zunächst in den Ausbau und die Modernisierung fließen. In Mittelfranken gebe es bereits gute Beispiele von Unternehmen, die die ÖPNV-Nutzung ihrer Mitarbeiter mitfinanzieren und weitere alternative Mobilitätsangebote bieten. So sei durch die Kooperation der IHK mit der VAG seit 2017 das sogenannte „Firmen-Abo ab 5“ (siehe Meldung Seite 36) entstanden. Seitdem wird auch kleineren Unternehmen ermöglicht, ihre Mitarbeiter bei einer nachhaltigen Mobilität zu unterstützen. Gute Mobilitätsangebote für Mitarbeiter sollten aber in Zukunft noch mehr Schule machen.
Rückgrat für eine Mobilitätswende beim Personennahverkehr ist der Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN). Er deckt immerhin eine Fläche von fast 16 000 Quadratkilometern mit rund 2,9 Mio. Einwohnern ab und registriert im Jahr über 250 Mio. Fahrten. IHK-Verkehrsexperte Ulrich Schaller sieht mehrere Ansatzpunkte, um den öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen. Als Beispiele nennt er die Verdichtung von Taktfahrplänen, das Schließen von Lücken in der Verkehrsinfrastruktur und mehr sogenannte multimodale Schnittstellen, auch Mobilitätspunkte genannt. Darunter versteht man Punkte, an denen Busse und Bahnen sowie andere Mobilitätsdienste (z. B. Taxis, Fahrrad-Sharing, Carsharing) zusammentreffen und das Umsteigen erleichtern.
Mobilitätspunkte
Klassischerweise sind etwa Hauptbahnhöfe oder Park+Ride-Plätze solche Mobilitätspunkte. Für die geplante Stadtumlandbahn Nürnberg-Erlangen-Herzogenaurach (StUB) wird beispielsweise überlegt, eine direkte Anbindung an die A3 im Bereich der Rastanlage Aurach durch einen P+R-Parkplatz zu schaffen. Die Stadt Nürnberg hat 2015 begonnen, Mobilitätsstationen mit Carsharing-Stellplätzen im öffentlichen Raum aufzubauen und dadurch umweltfreundliche Verkehrsmittel besser zu vernetzen. Jede Mobilitätsstation in hochverdichteten innerstädtischen Gebieten liegt an einer Straßenbahn- oder U-Bahn-Haltestelle und verfügt über zwei bis drei Carsharing-Fahrzeuge, Radständer und eine Fahrrad-Verleihstation. Mittlerweile gibt es im Stadtgebiet 30 Mobilpunkte, die den ÖPNV mit Carsharing-Fahrzeugen des Partners Scouter sowie teils auch mit dem Fahrradverleihsystem VAG-Rad verknüpft. In den nächsten Jahren soll das Netz der Mobilpunkte auch verstärkt in Wohngebieten ausgebaut werden. Dadurch könnten Bürger künftig auf das eigene Auto verzichten. Carsharing reduziert den Parkdruck in Wohngebieten, da erfahrungsgemäß ein Carsharing-Fahrzeug bis zu elf private Pkw ersetzt.
Die aktuelle Untersuchung „Prämissen und Ziele für den Masterplan ‚Schneller und pünktlicher ÖPNV in Nürnberg‘“ der VCDB VerkehrsConsult stellt fest, dass der angestrebte Anteil von 70 Prozent der Verkehrsarten ÖPNV, Radverkehr und Fußgänger am Gesamtverkehrsaufkommen noch verfehlt wird. 2019 nutzten 39 Prozent den Pkw als Fahrer oder Mitfahrer, der ÖPNV-Anteil lag bei 23 Prozent, Radler machten 14 Prozent und Fußgänger 24 Prozent aus. Gegenüber dem Jahr 1998 konnte der Pkw-Anteil von damals 48 Prozent plus ein Prozent motorisierte Zweiräder durch Fahrräder und ÖPNV allerdings deutlich reduziert werden. Im vergangenen Frühjahr übernahm die VAG mit VAG-Rad das Nürnberger Bike-Sharing und zählte über 130 000 Fahrten – im Durchschnitt mit einer Strecke von etwas mehr als einem Kilometer.
Generell wird allerdings das Nürnberger Radewegenetz mit seinen über 295 Kilometern als nicht ausreichend angesehen. Manche kombinierten Rad- und Fußwege sind ein Nadelöhr, insbesondere an Bushaltestellen wird es manchmal für die Verkehrsteilnehmer gefährlich eng. Zu den Pluspunkten gehören zum Beispiel Einbahnstraßen, die für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnet sind, sowie durchfahrbare Sackgassen.
Durch Radschnellverbindungen sollen längere Distanzen etwa für Berufspendler attraktiver werden. Sie bieten z. B. Pendlern auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit mehr Sicherheit und Komfort und könnten vor allem beim Einsatz von elektrisch unterstützten Rädern eine echte Alternative zum Auto eröffnen. Ein effektives Netz aus solchen Schnellwegen innerhalb der Städteachse soll neue Potenziale für den Radverkehr erschließen. Eine Machbarkeitsuntersuchung identifizierte vier Radschnellwege, die weitgehend mit den höchsten Standards umgesetzt werden könnten. Sie führen von Nürnberg nach Erlangen und weiter nach Herzogenaurach bzw. nach Fürth und nach Oberasbach/Zirndorf/Stein. Ergänzend wurden drei weitere Trassen als geeignete Radhauptverbindungen genannt: zwischen Erlangen und Fürth sowie von Nürnberg nach Lauf an der Pegnitz bzw. nach Schwabach. Das Besondere daran: Das dreistufige Konzept des Radschnellverbindungsnetzes setzt auf einen „Bayerischen Weg“. Das bedeutet, dass Radschnellwege, Radhauptverbindungen und Radverbindungen nicht an der Ortsbebauung enden sollen.
Carsharing
Ein Baustein mit wachsender Bedeutung für kommunale Mobilitätskonzepte ist das Carsharing. Der Bundesverband Carsharing (bcs) zählte Anfang des Jahres 226 Unternehmen, Genossenschaften und Vereine an 840 Orten in Deutschland. 219 von ihnen sind stationsbasierte Anbieter mit rund 12 000 Fahrzeugen. Stationsbasiert bedeutet, dass das Fahrzeug an einer Station abgeholt und dort auch wieder zurückgegeben werden muss. Bundesweit sieben Anbieter setzen dagegen mit ihren insgesamt 13 400 Fahrzeugen auf das Free-Floating: Das Auto wird per Handy geortet und dort abgeholt, wo es der letzte Nutzer abgestellt hat.
Im Großraum haben drei Anbieter als jeweiliger Mobilitätspunkt-Partner eine bevorzugte Stellung: In Nürnberg ist Scouter mit insgesamt 85 Autos – davon vier E-Autos und ein Kleintransporter – an insgesamt 51 Stationen präsent und verfügt über fast 3 500 Nutzer. Größter Standort ist mit neun Fahrzeugen der Mobilpunkt Hauptbahnhof, der im Quartal auf 700 bis 800 Buchungen kommt. Die meisten Buchungen pro Fahrzeug verbuchen die drei Scouter-Autos am Mobilpunkt Archivstraße mit 160 bis 180 Buchungen pro Auto und Quartal.
Das Konzept Free-Floating hält Scouter für verkehrspolitisch kontraproduktiv: Dabei würden nämlich One-Way-Fahrten gepusht, für die es aber in Nürnberg ein sehr gutes Netz aus U-Bahn, Straßenbahnen und Stadtbussen gibt. Lediglich in kleineren Stadtquartieren könnte Free-Floating eine Lösung sein, wenn keine festen Stellplätze bzw. städtische Mobilpunkte zu bekommen sind. In Mittelfranken ist Scouter bereits 2012 in Nürnberg, Erlangen und Fürth gestartet. Im Pkw-Bereich wächst das Geschäft aller Scouter-Städte jährlich um ca. 20 Prozent. Nürnberg war im letzten Jahr durch den Rückenwind der neuen Mobilpunkte mit rund 40 Prozent ein außerordentlicher Ausreißer nach oben.
In Erlangen wurde 2010 der Verein Carsharing Erlangen (CSE) gegründet, der mit politischem Anspruch den Autoverkehr reduzieren und Ressourcen schonen will. Heute bietet CSE in Erlangen und Umgebung 15 eigene Fahrzeuge an 17 Stationen an. Der Sharing-Pool wird durch die drei Elektrofahrzeuge der Elektromobilität Buckenhof – Uttenreuth – Spardorf (EM-BUS) und je ein Elektrofahrzeug in Heroldsberg und Herzogenaurach ergänzt. Die Mitglieder, zu denen auch die Stadt Erlangen gehört, können zusätzlich auch die Fahrzeuge von Scouter und von der Bahntochter Flinkster – zu anderen Tarifen – nutzen.
Die Stadt Erlangen hat im Jahr 2018 begonnen, Mobilpunkte einzurichten. Das dreistufige Konzept sieht kleine, mittlere und große Stationen vor. Die Grundausstattung umfasst einen Carsharing-Stellplatz, die Nähe zu mindestens zwei ÖPNV-Haltestellen sowie Fahrradabstellanlagen. Die größeren Varianten sehen mehr Stellplätze, E-Ladesäulen, Fahrradverleih, Lastenräder, Taxi und auch Fernbushalt und Gepäckschließfächer vor.
Mit einer angepassten Stellplatzsatzung fördert die Hugenottenstadt das Carsharing. Bei Wohnbauprojekten kann die Zahl der geforderten Parkplätze im Verhältnis eins zu fünf reduziert werden, wenn entsprechende Poolfahrzeuge vorgesehen werden. Beim Neubauprojekt Wassermann-Quartier wurden so mit zwei Sharing-Stellplätzen zehn konventionelle ersetzt. Die Bewohner sind automatisch für fünf Jahre kostenlose CSE-Mitglieder und müssen erst danach die vereinsübliche Einlage bezahlen.
Die Stadt Fürth hat im letzten Jahr sechs Mobilpunkte eingerichtet, die vom Partner Book-n-Drive mit Share-Fahrzeugen ausgestattet sind. An den Mobilpunkten finden sich bis zu drei Carsharing-Stellplätze sowie teilweise eine E-Ladesäule der Infra Fürth GmbH. Gestartet wurde mit 17 Fahrzeugen vom Kleinwagen bis zum Neunsitzer teils mit Hybrid- oder E-Antrieb. Book-n-Drive ist der erste Carsharing-Anbieter in Fürth, der ein kombiniertes Angebot anbietet. Zusätzlich zu den stationsbasierten Autos werden zehn stationsflexible „City-Flitzer“ angeboten, die nach dem Free-Floating-Prinzip spontan genutzt und in einem definierten CityFlitzer-Gebiet wieder auf einem kostenfreien Parkplatz abgestellt werden. Nach einem vielversprechenden Start will Book-n-Drive sein Angebot an weiteren Orten in der Region, z. B. in Erlangen und Nürnberg, ausweiten.
Außerhalb kommunaler Mobilitätskonzepte bieten auch private Verleihplattformen nach der Sharing-Idee Fahrzeuge an. Auf Plattformen wie SnappCar oder Getaround – ehemals Drivy – können private Autobesitzer zu einem selbstdefinierten Preis ihre Autos vermieten.
Zurückhaltung bei Betrieben
Der Stellenwert von Carsharing als Ergänzung zum betrieblichen Mobilitätsmanagement steckt dagegen noch in den Kinderschuhen. Für die Zurückhaltung der Firmen beim Thema Carsharing sieht Scouter zwei Gründe. Zum einen mache Carsharing für Unternehmen in der Regel nur Sinn, wenn direkt beim Standort auch eine Carsharing-Station liegt. Zum anderen hätten die Betriebe oft noch nicht die Vorteile der automatischen Fahrtabrechnung entdeckt, mit der im Vergleich zur firmeninternen Verwaltung eigener Fahrzeuge deutlich Verwaltungskosten gespart werden könnten. Mit den beiden neuen Scouter-Stationen an den Gewerbestandorten „Auf AEG“ in Nürnberg und Dr.-Mack-Straße in der Uferstadt Fürth sollen nun die dort ansässigen Firmen auf den Geschmack gebracht werden.